Teil 2 – Im Naherholungsgebiet
Welch ein schöner lauwarmer Sommerabend, dachte sie sich. Der durchgängig bewölkte Himmel brachte etwas Abkühlung; die Luft angenehm frisch und klar, nicht schwül. Es zog sie hinaus, eine kleine Runde mit dem Rad drehen, die Alltags- und zusätzlichen C-Sorgen für kurze Zeit vergessen. Vielleicht würde sie Glück haben und im Büchertauschschrank im Parzellengebiet wieder einen glücklichen Fund machen. Der graublaue Himmel setzte sich so schön von den sattgrünen Pflanzen ab, die noch keine Zeichen von Vertrockung aufwiesen, ließ das Grün noch stärker leuchten. Dazwischen bunte Farbkleckse irgendwelcher Blüten. Ein wohliges Gefühl erfüllte ihren Körper. Im Bücherschrank diesmal kein Glück, dafür aber eine glückliche Zusammenkunft mit einer Katze, die sich bereitwillig streicheln ließ. Dazu noch ein paar frühreife Brombeeren naschen. Das Leben kann so unbeschwert sein.
Auf dem Rückweg tollten am Deich ein paar Jugendliche, ließen sich herunterrollen. Lächelnd näherte sie sich. Das Herumspucken eines der Jungen störte sie nicht. In diesen Zeiten fast schon eine Form des Widerstands. Beim Passieren grüßte er sie in pubertärer Manier halb ironisch, halb provokant. Sie erwiderte den Gruß ebenso. Beim Abzweigen sah sie im Augenwinkel noch etwas hinter sich herfliegen. Ein Blick Richtung Hüfte brachte Gewissheit: Er hatte sie angespuckt. Willkommen zurück in der patriarchalen Realität! Sie stellte ihn zur Rede, was das sollte. Seine halbgaren, unernsten Ausflüchte, das sei ein Versehen gewesen, machten sie nur noch wütender. Ja klar, wem ist es noch nicht „aus Versehen“ passiert, jemanden angespuckt zu haben? Kann ja mal vorkommen! Dass sie ihm am liebsten eine scheuern würde für diese Unverschämtheit. Ein Freund drohte ihr, dann würde sie es mit ihm zu tun kriegen. Was soll sie machen gegen körperlich ausgewachsene Jungmänner ohne Bart und ohne Benehmen? Das einzige Mädchen in der Runde kommt dazu, bietet ein Taschentuch an, fordert ihren Freund auf, sich zu entschuldigen. Mal wieder typisch – sie holt für ihn die Kohlen aus dem Feuer. Der Abend ist gelaufen.
Teil 3 – Auf dem Markt beim Bio-Stand
Sie steht in der Schlange vom Bio-Stand. Ein maskierter, mittelalter Mann nähert sich ihr auf weniger als anderthalb Meter Abstand, blafft sie an. Seine nur locker sitzende, zu allen Seiten offene Mund-Nasen-Stoffbedeckung bewegt sich in seiner Hassansprache: Er wolle nicht von Leuten wie ihr gefährdet werden, ihr dabei einen Zeigefinger ins Gesicht haltend und abwechselnd auf ein Schild. Sie sei jawohl des Lesens nicht mächtig. Was ihn das anginge und ob er das Ordnungsamt sei, fragt sie. Leider nein, aber wenn, dann würde er… mit Leuten wie ihr… Aber Hauptsache strahlend weiße neue adidas-Sneakers an, um den junggebliebenen Anti-Spießer zu markieren.
Teil 4 – Auf einem anderen Markt an einem anderen Öko-Stand
Sie verdient nicht sonderlich viel. Typischer Frauenberuf in Teilzeitanstellung. Aber pestizidfreie Lebensmittel sind ihr wichtig. Das unterstreicht ein gerade aufgetretener Krebsfall in der Familie. Ein nasskalter Herbstmorgen, der Atem macht Dampfwolken, die Füße frieren. Geduldig wartet sie, es geht nur langsam voran. Das Angebot ist reichlich, die Ware sieht gut aus. Sie überlegt sich, was sie damit Schönes kochen kann. Endlich an der Reihe. Kaum ein ‚Guten Morgen‘ über die Lippen gebracht: „Sie müssen eine Maske tragen, ich darf Ihnen sonst gar keine Lebensmittel verkaufen,“ beendet der junge, langhaarige Verkäufer – alleine am Stand sich hinter einer schwarzen Maske versteckend – das Verkaufsgespräch, bevor es überhaupt angefangen hat. Sie erinnert sich an eine Bekannte, die mal das Wort Öko-Faschist benutzte, mit dem sie seinerzeit nicht soviel anfangen konnte. Ein abschätziges Lächeln aufsetzend, um sich etwas Würde zu bewahren, wendet sie sich vom Stand ab. Sie wird nicht betteln und ihr Attest hervorkramen. Diesmal schreibt sie eine Strafanzeige wegen Diskriminierung. Der Staatsanwalt antwortet: kein öffentliches Interesse, Verfahren eingestellt.