Teil 11 – Auf dem Marktplatz I
Sie steht auf dem Marktplatz in einer kleinen Gruppe und unterhält sich. Nur wenige Schritte von ihnen entfernt eng sitzende Menschen, die sich an der Sonne und der Wiedereröffnung der Gastronomie erfreuen. Die Polizei, dein Freund und Helfer, will das nicht. Drei bis an die Zähne bewaffnete Polizisten nähern sich der Gruppe. Sie sollen sich auflösen, den Platz verlassen wegen Verstoßes gegen Abstandsregeln, die für die Polizei und die Gastronomie-Besucher hingegen nicht gelten. Diskussionen folgen. Während sie noch – die Indoktrination sitzt tief – naiverweise darauf hofft, Polizisten nicht als befehlsausführende Roboter, sondern als Menschen mit Gewissen und Mut zur Zivilcourage erreichen zu können und ihnen eine Predigt über Grundgesetz, Freiheit und Widerstandsrecht hält, reicht’s ihrer Freundin schon lange mit der Polizei, spätestens seit sie bei G20 von ihnen in Lebensgefahr gebracht wurde. Sie provoziert verbal mit einer einladenden Geste. Ein junger Blonder lässt sich gerne darauf ein, scheint richtig heiß auf Krawall zu sein, greift nach ihrem Handgelenk. Dickie, der Chef, pfeift ihn zurück, erteilt Platzverweise, an die sich aber niemand hält. „Ich hasse Menschen“, wendet er sich mit seinen Jünglingen ab, um für diesen widerspenstigen Mob Verstärkung zu rufen. Für eine Handvoll untrainierter, zierlicher Weiber und einiger Rentner leistet sich der Staat gerne ein Polizei-Großaufgebot.
Wenig später stehen mehr Polizisten in Kampfmontur als Zivilisten auf dem Marktplatz. Ihre Freundin wird zuerst weggeschleppt. Sie ist überfordert, weiß nicht, was sie machen soll. Die Freundin aus dem Abschleppgriff befreien aus den Händen bewaffneter Polizisten in Überzahl? – wohl kaum möglich. Sie wird selber umzingelt, nach ihren Personalien gefragt, ob das ihr Rad sei und ihr Rucksack. Sie antwortet nicht, hört nicht mehr hin, schaut nur noch in den blauen Himmel, bereitet sich innerlich darauf vor, dass sie gleich die nächste sein wird. Ohne Vorwarnung greift Krawall-Blondie nach ihrem Arm, schleift sie weg, eine junge Polizistin packt sie von der anderen Seite. Ihr Griff ist fester als der ihres Kollegen. Frauen müssen sich eben beweisen. Am nächsten Tag wird dort ein blauer Fleck sein. Sie bringen sie zum Gefangenentransporter. Stickige, heiße Luft dampft ihr entgegen, die Tür der winzigen Einzelkabine ist einladend geöffnet. Panik überkommt sie, sie stemmt sich mit den Füßen gegen die Einstiegsstufen, bettelt nein nicht, dass sie Platzangst kriegt. Ein dritter Polizist öffnet großzügig die Tür zum großen Abteil. Der Wagen ist aufgeheizt, die Luft unerträglich, nimmt ihr den Atem. Sie gibt klein bei, will ihre Personalien angeben, aber draußen an der frischen Luft. Die Polizei lässt sich nicht auf den Deal ein, kennt keine Gnade, drückt sie zurück. Sie hält sich am Türrahmen fest, aber keine Chance. Die Handgriffe der Polizisten sitzen. Routiniert lösen sie ihre Hände, drücken sie gewaltsam ins Abteil auf die Bank. Wie man zu mehreren eine unterlegene Person überwältigt und einsperrt, haben sie gut einstudiert. Die letzte Waffe, die sie jetzt noch hat, ist ihre Stimme. Aus voller Kehle schreit sie ein langes wütendes und panisches NEIN, bis ihr die Luft ausgeht. Die Pause zum Luftholen nutzt die Polizistin gekonnt, um ihren Kopf seitlich verdreht an die Wand zu pressen, damit sie nicht mehr sieht, was passiert. Es fühlt sich an, wie tausend Hände, die sie fixieren wollen. Der Kollege stellt sich ungeschickt an, kriegt den Gurt nicht fest. Er ist zu groß für zierliche Frauen. Triumphierend zischt er ihr beim Rausgehen zu, hier gewinne nicht, wer am lautesten schreie. Als wäre das alles ein Räuber-und-Gendarm-Spiel. Die Tür knallt zu. Durch Gitter und Plexiglas schaut sie hinaus in die Freiheit. Jetzt weiß sie, wie sich eingesperrte Tiere fühlen. Sie denkt an den Herzinfarkt ihres Vaters, der damals so alt war wie sie jetzt, an die Panikattacken ihrer Mutter. Was, wenn ihr das jetzt passiert? Nun bringen sie ihre Freundin hinein, natürlich nicht zu ihr ins Gruppenabteil, sondern in die Einzelzelle, kleiner als ein Dixi-Klo. Ein bißchen Folter muss schon sein. Da haben sie aber die Falsche erwischt. Unbeeindruckt von diesem Einschüchterungsversuch klopft sie einen solidarischen und aufmunternden Gruß an die Wand zum Großabteil. Die Panische klopft zurück, beruhigt sich langsam.
Kurzer Weg zur Wache. Das Machtgehabe geht weiter. In aller Seelenruhe rauchen die werten Beamten erstmal eine, während die Schwerverbrecherinnen weiter in der überhitzten Minna schmoren dürfen. Sie wird als erste herausgeholt, durch die Kellergarage geführt. Dort stehen mehrere Räder. Ihre drei Geklauten hat sie nie wieder gesehen. Dafür sind keine Kapazitäten da. Und fast wäre an jenem Tag dank der Polizei noch ein Viertes hinzugekommen… An einer geschlossenen Tür soll sie sich wegdrehen. Eine Polizistin gibt den Code ein. Als hätte sie jemals vor, dort freiwillig noch einmal einzukehren… Überall Fliesen, viele Kameras. Im kahlen Empfangsbüro stehen ein schäbbiger, abgefuckter Stuhl und eine Arztliege. Wer da wohl schon alles drauf lag und sein Körperfett hinterlassen hat. In solchen Räumlichkeiten zu arbeiten, kann ja nur abstumpfen und depressiv machen. Sie ist allein mit zwei Polizistinnen. Ohne zu fragen, greift sie zum Telefon, will eine bekannte Anwältin anrufen. Die Zentrale oben ist so großzügig, die Nummer herauszusuchen. Es meldet sich nur der AB. Die Telefonnummern ihrer Schwester und ihres besten Freundes fallen ihr nicht ein. Die Polizistinnen verweigern weitere Hilfe. Wir sind hier nicht bei Wünsch-dir-was. Schließlich erinnert sie sie doch. Sie erreicht ihren Freund, er solle einen Anwalt suchen – an einem Samstagabend natürlich kein Problem. Ihr Rucksack wird durchwühlt und entleert, alles dokumentiert. Sie verweigert eine Unterschrift. Sie soll sich entkleiden. Sie könne ja etwas am Leib tragen, womit sie sich umbringen könne. Ja klar, so war das ja auch geplant: Sich von der Polizei festnehmen lassen, um sich dann in einer Zelle zu suizidieren, am besten noch mit der Armbanduhr, die sie ablegen muss. Mal davon abgesehen: Was soll sie schon groß unter ihrer leichten Sommerbekleidung verstecken? Sie weigert sich, sich nackt auszuziehen. Fragt, was passiert, wenn sie es nicht machen wird. Dann würden es die Polizistinnen eben machen. Nein, danke. Und wo eigentlich ihre Freundin sei: Die müsse IHRETWEGEN die ganze Zeit in der Minna ausharren. Empört streift sie sich schließlich ihr T-shirt über den nackten Oberkörper, zieht die Leinenhose aus und benennt das ganze als erniedrigend. Das wirkt offensichtlich ein bißchen, ein Rest Mitgefühl scheint noch vorhanden. Die Unterhose muss sie großzügigerweise nicht runterziehen. Dafür soll sie aber die Kordel aus der Leinenhose entfernen. Strangulationsgefahr. Sie beschwert sich, wie soll sie Kordel dann hinterher wieder einfädeln ohne Nähwerkzeug? Die eine Polizistin lenkt ein. Dann komme sie eben in die offene Zelle zur Beobachtung. So geschieht es: ein komplett durchgefliester, dunkler Raum ohne Fenster mit einer Gummimatratze. Die nächsten zwei Stunden soll sie dort bleiben. Durch die Gitterstäbe sieht sie, wie nun ihre Freundin zum Empfangskomitee gebracht wird. Sie empfindet Durst, will ihre Wasserflasche haben. Die bekommt sie nicht, warum auch immer, aber wenigstens einen Becher durch die Gitterstäbe gereicht. Ein anderer Polizist fragt erneut nach ihren Personalien. Er versucht, seine Scham und sein Unbehagen mit Freundlichkeit und Frotzelei zu überspielen, während im Hintergrund ihre Freundin auf Socken in eine Einzelzelle verbracht wird. Wenn sie ihren Namen nicht sage, müsse sie oben Fingerabdrücke hinterlassen. Okay, beenden wir das Theater. So toll ist es hier unten im Kerker auch nicht. Sie sagt ihren Namen und voilà: Der Sesam öffnet sich.
Zum großen Finale stehen ihr nochmal alle beteiligten Polizisten, mindestens sechs Stück, Spalier, sehen zu, wie sie ihren Rucksack wieder einpackt. Die Masken klemmen teils unterm Kinn, sind teils ganz verschwunden. Von Abständen ganz zu schweigen. Wieso hat das gefährliche Killervirus die Polizei eigentlich noch nicht dahingerafft? Sie fragt in die Runde, ob nicht alle von ihnen einen Eid auf das Grundgesetz geleistet hätten – Schweigen. Und dass die Infektionskurve einen normalen saisonalen Verlauf hatte, der schon längst wieder abgeklungen sei. Dass das alle selber nachsehen können, auch wenn man kein Wissenschaftler ist, betont sie extra, denn viele Polizisten leiden ja angeblich unter Minderwertigkeitskomplexen, die sie mit ihren Waffen kompensieren. Dickie versucht nochmals ihr eine Unterschrift abzuringen. Den Gefallen tut sie ihm nicht. Ihr Freundin wird kurz nach ihr in die Freiheit entlassen. Durstig teilen sie sich das letzte Wasser. Dank einer anderen Freundin, die verschont blieb, war das Fahrrad noch da. Die Polizei, dein Freund und Helfer, hatte es entgegen anderer Zusage einfach auf dem Marktplatz stehen lassen.
Teil 12 – Auf dem Marktplatz II
Am Tag des neuen Ermäch… äh Infektionsschutzgesetzes wollte sie ein Zeichen setzen gegen diese zunehmende Faschisierung im Lande. Zusammen mit nur sehr wenigen anderen traf sie sich auf einem leeren Marktplatz. Die Überrepräsentanz der Staatsmacht mit mindestens zehn Polizeiwannen auf eine Handvoll Leutchen zeigte ihre Wirkung und schreckte viele ab, die eigentlich hätten kommen wollen. Die Anmelder der Versammlung hatten Plakate dabei. Sie nahm sich „Die Maske ist ein Symbol für Gehorsam“. Das gefiel ihr am besten. Und selbstverständlich trug sie selber auch keine. Es dauerte nicht einmal zehn Minuten, bis sich ihr und ihrem ebenfalls unmaskierten Bekannten ein Schläg.. äh Polizeitrupp näherte und sie ins Abseits beorderte, natürlich sofort umzingelt, damit ja niemand die Schweinereien von außen mitbekommt. Vorwurf: Sie verstößen mit dem Nicht-Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung gegen Hygieneauflagen. Beide beriefen sich auf die in der Verordnung verankerten Ausnahmen. Der Bekannte wollte sogar sein Attest vorzeigen, obwohl er das laut Verordnung nicht muss. Sie riet ihm davon ab: Es hatte sich im Recht-des-Stärkeren-Staat so eingebürgert, Attest-VorzeigerInnen die Straftat einer Dokumentenfälschung zu unterstellen und Arzt-Praxen zu durchsuchen. So blieb es also beim Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit, die keine war. Doch was interessiert die Polizei schon, was wirklich in Verordnungen steht und was nicht.
Sie sollte ihre Personalien angeben – wieder einmal. Selten hatte sie einen so aggressiven und bedrohlichen Menschen erlebt wie eben jenen Polizisten, der mit Waffen ausgerüstet nun ihren Namen verlangte. Selbst die Hells Angels, mit denen sie einmal aneinander geraten war, hatten sich besser im Griff als dieser Typ. Er war sogar seinen Kollegen peinlich, die verlegen ins Leere schauten, keinen Mucks von sich gaben. Er konnte nicht reden, sondern nur schreien, nicht fragen, sondern nur beleidigen und drohen. Sie beschwerte sich beim Ranghöheren, wie dieser Typ mit ihr umgehe. Natürlich keine Reaktion. Sie fragte ihn umgekehrt nach seinem Namen: DER TUE HIER NICHTS ZUR SACHE. Feigling. Steht nicht mal zu seinen Schandtaten. Seine Dienstnummer wollte sie wissen: DIE STEHE AUF SEINER BRUST – OB SIE BLIND SEI, wehte es ihr durch seine Vermummung entgegen. Da war aber keine Nummer. WOLLEN SIE MICH VERARSCHEN? Die Schnur des herunterbaumelnden schweren Darth-Vader-Helms hatte das Etikett umgeklappt. Auch die feigen Kollegen rückten nicht mit dessen Nummer raus. Diese Unverschämtheit – kein Gesicht, kein Name, keine Dienstnummer – wollte sie sich nicht länger bieten lassen und setzte an, um ihn herumzugehen, die Nummer auf dem Rücken abzulesen. Der mutierte Gorilla packte sie am Arm und schleuderte die 50 kg-Frau nach nur zwei Schritten zurück: SIE WOLLEN SICH ENTFERNEN! Nach Überprüfung der Personalien bekam sie einen Platzverweis, Unmaskierten ist es nicht mehr gestattet, sich in der Öffentlichkeit zu versammeln. Sie überlegte diesmal nur kurz, ob sie sich diesem Unrecht widersetzen und bleiben sollte: Sie hatte noch nicht zu Abendbrot gegessen und dachte an die schwallartigen Blutungen, die sie in den vergangenen Monaten mehrfach urplötzlich heimgesucht hatten. Der innere Druck sucht sich sein Ventil. Hungrig und mit blutdurchtränkter Hose im Kellerverlies weiter von diesem Irren angeschrien werden? – Ach nee, man muss sich seine Kräfte gut einteilen.
Zum Abschied rief er ihr noch ein „Wollen Sie Ihren Müll gar nicht mitnehmen!?“ hinterher. Gemeint war das Plakat. Spätestens zu dem Zeitpunkt war klar, worum es hier eigentlich ging, um etwas Höchstpersönliches: Da muss sich ein ausgewachsener kräftiger Kerl offenbar ohne jegliches Selbstbewusstsein, das er kompensiert mit überbordender Aggressivität, von so einer halben Portion das eigene, tief verborgene Duckmäusertum, das er so gerne weiter verdrängt hätte, vor Augen halten lassen. Diese nach-oben-buckeln-nach-unten-treten-Mentalität. Ein Möchte-gern-Sheriff, von dem ohne Uniform und Waffen nur ein armes, kleines Würstchen übrig bleibt.
Die Zeitung schrieb am nächsten Tag: „Zu fünft oder sechst umstellt man Demonstranten, die ohne Maske herumlaufen, und nimmt deren Personalien auf. Dabei kommt es teilweise zu heftigen Wortgefechten, aber dabei bleibt es dann auch.“ Aha.
Teil 13 – Im Park II
Als sie ihr Rad abschloss, ahnte sie beim Anblick des Mannschaftswagens schon Böses: Das würde kein Spaziergang, sondern ein Spießroutenlauf werden. Zusammen mit Gleichgesinnten wollte sie im Park spazieren. Auch die Antifa, der neue verlängerte Arm der Staatsmacht, stand schon parat. Mit Profa und Polente im Schlepptau schlenderten sie dennoch los, machten Pausen in der Hoffnung, die Verfolger würden sich vielleicht mal andere Opfer suchen. Leider vergeblich. Nicht einmal vor dem Tiergehege machten sie Halt, wo sich bekanntlich viele Kinder aufhalten. Eine Mutter schaute erst missmutig auf den Mannschaftswagen, der sich durch die schmalen Wege quetschte, dann wendete sie ihren Blick fragend zu ihr. „Wir sind für die nur noch Volksschädlinge“, antwortete sie auf deren unausgesprochene Frage. Die Mutter darauf: „Nein, wir sind immer noch Menschen.“
Der Versuch, die Polizei mit einer 180°-Wende hinter sich zu lassen, misslang. Die Türen des Wagens öffneten sich, die Polizisten riefen „Stehen bleiben!“ Sie ging einfach weiter, ignorierte die Befehle. Eine Polizistin überholte sie und schnitt ihr den Weg ab. Unnötig zu erwähnen, dass sie sich als vermeintliche Autoritätsperson natürlich nicht an die 1,50 m-Abstandsregel hielt, der Spaziergängerin aber eben jenes vorwarf. „Wir haben Sie beobachtet.“ Willkommen im Willkür-Polizeistaat! Das Prozedere mit der Personalien-Aufnahme kannte sie zwar schon, trotzdem musste sie mehrmals nachfragen, was die Polizistin von ihr wollte. Ihre FFP2-Schnabelmaske erleichterte die Kommunikation nicht unbedingt und passte ohnehin nicht zum Gesamt-Outfit der Polizistin, die offensichtlich viel Wert auf ihr Äußeres legt. Um ihre Autorität zu unterstreichen und von der Lächerlichkeit des Entengesichts abzulenken, reagierte die Beauty-Beamtin gereizt, unterstellte der Hygieneverbrecherin, sie wolle sie wohl nicht verstehen, sie dabei mit einem strengen Blick fixierend. Die üblichen Machtspielchen.
Ach ja, das Leben einer Polizistin ist schon schwer. Frau will wieder allen gerecht werden: Auf der einen Seite bloß nicht zu mitfühlend-lasch auftreten, um ja nicht zu weiblich-weich zu wirken, sondern die Taffe mimen, um von männlichen Kollegen und Vorgesetzten ernst genommen zu werden; auf der anderen Seite mit Strähnchen im langen Haar streng zum Pferdeschwanz gebunden, Make-up und Klarlack den weiblich notwendigen Sex-Appeal bewahrend, um bei den männlichen Kollegen und Vorgesetzten ja nicht zu mannsweibisch oder gar lesbisch zu wirken. Tja, soviel untertänige Anpassung kann auf Dauer nur schief gehen, kriegen dann eben andere ab. Haben dafür Frauenrechtlerinnen gekämpft?
„Frau X, das läuft dann wieder so wie beim letzten Mal,“ entließ die Wachtmeisterin die Gefährderin aus ihrer Obhut, was im Klartext hieß: Da kommt wieder kein Bußgeldbescheid, alles reine Schikane.
Teil 14 – Beim Spazierengehen
Seit ihrer fristlosen Kündigung hatte sie nun wenigstens mehr Zeit zum Spazierengehen. Alle Welt redet von Vitamin-D-Mangel: Wen wundert’s, wenn der Großteil der Bevölkerung sich in geschlossenen Gebäuden lohnversklavt und gerade im Winter kaum Licht und UV-Strahlung tanken kann, dachte sie bei sich, während sie am See entlangging. Den Blick in die Ferne gerichtet nahm sie im Augenwinkel einen Greis war, gut verpackt in Winterkleidung mit Gehstützen. Erst bei einem Hallo kombiniert mit ihrem Vornamen erkannte sie ihn: ein alter Bekannter vom Tanzen. Er klagte über eine Odyssee an OP’s. Das konnte vielleicht seine ungesunde Gesichtsfarbe und seine vorgealterte Erscheinung erklären. Zwischen ihnen viel Verkehr aus Joggern, Müttern mit Kinderwägen, Autos des städtischen Umweltbetriebs. Zu unruhig und laut für eine Unterhaltung, sie wechselte auf seine Wegseite. Er wich zurück, Abstand wahrend, als hätte sie eine ansteckende Krankheit. Sie fühlte sich ein Stück weit entmenschlicht, degradiert zu einer Gefahr, zu einer Außenseiterin, mit der auf dem Schulhof niemand spielen will. Sie sagte aber nichts, aus Rücksichtnahme, das Problem, die Angst liegt bei ihm. Vorbei die Zeiten der wilden Tanzabende mit verschwitzen Händen und Leibern. „Swing tanzen verboten!“ Ihr fehle das Tanzen mit anderen, das sei Teil ihrer Lebensfreude. Solle man den Menschen doch selber überlassen, welches Risiko sie eingehen oder nicht. Ihm hingegen, erwiderte er, habe der Lockdown gut getan. Ohne ihn hätte er sich nie dem Solo-Tanz gewidmet. Sie, die Geduld und Verständnis verlierend: Das sei Schönrederei. Zum Erlernen von Solo-Tanz brauche es keinen Lockdown. Er fände das alles richtig, man müsse das nur richtig nutzen, und er wolle halt kein Covid. Tja, und was andere wollen…? Müde dieser Diskussionen konfrontierte sie ihn: Er, selber Therapeut, solle ihr mal erklären, warum in der schlimmsten Pandemie aller Zeiten Klinikmitarbeiter in Kurzarbeit geschickt, ja ganze Krankenhäuser geschlossen würden. Jaha, das liege daran, dass sie in privater Hand betrie… blablabla. Ganz mansplainer, versuchte er tatsächlich noch, ihr das Offensichtliche rational erklären zu wollen. Sie fuhr ihm über den Mund, sich in Bewegung setzend, dieses Gerede nicht mehr ertragen könnend: Wie lange er sich noch verarschen lassen wolle, dass er zu Hause bleiben solle, wenn er Angst habe und auf seine Freiheit verzichten könne, aber bitte nicht andere damit hineinziehen solle. Von Herzen gute Besserung und tschüss!